Maryam Zaree: "Es ging darum, die Menschen in ihrem Inneren zu brechen"
Zaree: Viele wollen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Andere wollen nicht über das Thema sprechen. Insgesamt finden wir als Generation noch schwer einen eigenen Zugang zum Thema.
ZEIT ONLINE: Ihnen persönlich scheint es gelungen zu sein. Sie kämpfen darum, andere an das Geschehene erinnern zu dürfen. Gleichzeitig wollen Sie sich von dieser Geschichte emanzipieren. Am Ende des Films sagen Sie zu Ihrer Mutter: "Es ist okay, ich bin okay."
Zaree: Das war ein Prozess, der mehr als vier Jahre dauerte. Währenddessen habe ich auch ein Theaterstück darüber geschrieben, habe am Maxim Gorki Theater in Berlin am autobiografischen Projekt Denial mitgewirkt. All dies greift in meiner Aufarbeitung zusammen. Der Film ist nur ein Teil dieser Reise.
ZEIT ONLINE: Im Film zeigen Sie das Iran-Tribunal in Den Haag, Dies war ein symbolisches Volkstribunal. Warum gibt es kein offizielles Tribunal zu den Verbrechen an der Menschlichkeit, die in den Achtzigerjahren von staatlicher Seite im Iran begangen wurden?
Zaree: Weil es bis heute andauert. Zwei der Kandidaten der vergangenen Präsidentschaftswahl saßen sogar in der sogenannten Death Commission und waren mitverantwortlich für die Massentötungen.
ZEIT ONLINE: Warum widmen Sie dem nicht größere Aufmerksamkeit?
Zaree: Es wäre einfach gewesen, im Film mit dem didaktischen Zeigefinger auf ein verbrecherisches Regime zu zeigen und zu sagen: Da sind sie, die Täter. Seht doch, sie sind immer noch an der Macht. Ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Es hat stattgefunden, man weiß, dass Zehntausende umgebracht worden sind, man weiß um die Massengräber. Ich wollte reden, worüber geschwiegen wird, über die Tabus und die Zeugenschaft der Opfer. Ihnen wollte ich eine Plattform geben, nicht den Tätern, deren Taten für sich selbst sprechen.
ZEIT ONLINE: Man stellt sich unweigerlich die Frage, in welcher Beziehung Ihr Wille um Aufarbeitung zu jenem der Nachkriegsgeneration in Deutschland steht. Auch diese wandte sich irgendwann an ihre Eltern – an Täter wie Opfer – und fragte: Warum sprecht ihr nicht mit uns? Damals wurden große Wunden gerissen, die in heutigen Debatten noch immer sichtbar sind. Wie kann man diesen Prozess des Fragens und der Aufarbeitung womöglich anders gestalten?
Zaree: Sich innerhalb der Familie mit dem Verdrängten auseinander zu setzen, wird und wurde nicht annähernd genug getan. Ich sehe darin aber ein großes Potenzial für tiefgreifenden kollektiven Wandel. Dafür muss allerdings jeder Einzelne den Mut finden, sich dem Schmerzhaften, und Unbequemen der eigenen Geschichte zu stellen.
ZEIT ONLINE: Es gibt diesen Moment im Film, als Ihre Mutter weint. Das ist so etwas wie der stille Kulminationspunkt des Films.
Zaree: Ich weiß um die Unerträglichkeit dieser Situation. Aber in diesem Moment ist es eine menschliche Verantwortung, nicht wegzuschneiden. Wir müssen dieses Weinen anerkennen und auch aushalten. Denn es erzählt davon, was es bedeutet, Entmenschlichung erlebt zu haben. Unsere Elterngeneration dachte immer, sie müsse stark sein, sie müsse kämpfen. Mein Ansatz im Film ist es zu zeigen, dass Kraft auch in der Anerkennung des eigenen Versehrtseins steckt.
ZEIT ONLINE: Bis auf Ihren Vater gibt es in Born in Evin so gut wie keine männlichen Protagonisten. Sie sprechen vor allem mit Frauen.
Zaree: Dafür ist mein Vater ist ja sehr gesprächig. Aber dass so viele Frauen vorkommen, hat natürlich eine politische Dimension. Die Männer im Gefängnis hatten das Privileg, politische Gefangene zu sein. Die Frauen hatten sich nach Auffassung des Regimes nicht als politisch Aktive versündigt, sondern als Frau vor Gott, ihr Politischsein wurde ihnen gänzlich abgesprochen. Sie sollten durch sexuelle Demütigungen gebrochen werden. Es gab eine genderspezifische Form der Gewalt im Gefängnis von Evin.
ZEIT ONLINE: Die weiblichen Überlebenden stehen also vor einer doppelten Herausforderung: Sie müssen sich vom Regime emanzipieren – aber auch von den Männern.
Zaree: Christian Petzold hat mal erzählt, warum seine Protagonistin im Film Barbara diesen markanten Lidschatten trägt. Der kam halt aus dem Westen. Es war ein Akt der Befreiung, der Emanzipation, ihn aufzutragen. Ich musste lachen, als ich das gehört habe. Denn so sehen ja die iranischen Frauen aus, die ich getroffen habe: Sie sind alle stark geschminkt, tragen High Heels. Das Zurschautragen ihrer Weiblichkeit ist ein Akt des Widerstandes. Ganz im Gegenteil zur Frauenbewegung in Deutschland. Das hängt stark mit den Erfahrungen im Gefängnis und der Zwangsverschleierung zusammen, dem Verschwindenmüssen. Diese Frauen zeigen mit jeder Pore: Wir verschwinden nicht!